Elternpraktikum "Baby auf Probe"
Kinderversorgung und -erziehung gehören zu den grundlegenden und verantwortungsvollsten gesellschaftlichen Aufgaben. Beunruhigende Zahlen überforderter hilfloser Eltern und vernachlässigter, misshandelter Kinder zeigen aber, dass gute elterliche und soziale Kompetenzen nicht als selbstverständlich und natürlich gegeben vorausgesetzt werden können. Viele Jugendliche, besonders aus belasteten Familien, haben große Sehnsucht nach einer glücklichen Familie und denken, sie können das mit einer eigenen kleinen Familie verwirklichen. Die Konsequenzen einer solchen Entscheidung können sie aber kaum überblicken. Oft erfüllen sich ihre Hoffnungen und Erwartungen nicht. Trotzt guter Vorsätze reagieren sie bei der Betreuung und Versorgung ihres Babys oft hilflos und überfordert. Vernachlässigung ist eines der größten Probleme in der Jugendhilfe. Präventive Angebote können hier frühzeitig sensibilisieren und solchen Problematiken vorbeugen.
So haben eine Lehrerin und die Schulsozialarbeiterin im Schuljahr 2008/09 erstmals das Projekt "Baby auf Probe" an der Erich Kästner-Schule durchgeführt. Teilgenommen haben zehn Schülerinnen und ein Schüler der der 10ten Klassen. Im Rahmen des Projektes lernten die Jugendlichen was es bedeutet für ein Baby da zu sein, welchen Belastungen man ausgesetzt ist und wie man damit umgeht. Hierfür erhielten sie für mindestens 24 Stunden einen Babysimulator, um den sie sich kümmern mussten. Die Babysimulatoren sind Neugeborenen sehr ähnlich. Neben entsprechender Größe und Gewicht machen sie auch passende Geräusche, wie schreien, saugen und zufriedene Laute. Das Baby muss vollständig versorgt werden, das heißt gewickelt, gefüttert und geschaukelt werden. Das Verhalten des Babys wird durch eine Art Computer gesteuert, der von den Betreuenden eingestellt wird. Die Jugendlichen haben ein Armband mit Chip, durch den jede Versorgung registriert wird. Der Simulator zeichnet auf, wie das Baby versorgt wird. Am nächsten Tag erfolgt die Nachbesprechung und die Auswertung der Aufzeichnungen. Die Betreuer des Projektes sind während der ganzen Zeit telefonisch erreichbar, denn nur sie können sie Simulation beenden. Trotzdem gibt es natürlich Unterschiede zwischen den Babysimulatoren und einem lebendigen Säugling und das muss mit den Jugendlichen auch thematisiert werden. Ein Babysimulator ist nur ein pädagogisches Instrument. Es kann nicht wirklich reagieren, hat keine Mimik oder eigene Beweglichkeit, aber bietet die Möglichkeit für ein Praktikum. Das Projekt ermöglicht den Jugendlichen, innerhalb zeitlicher Begrenzung, zu erfahren, wie es wäre ein eigenes Kind zu haben. So können sie besser entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für ein Kind ist. Das Projekt umfasst aber auch noch die Bearbeitung weiterer Themen des Bereichs Elternschaft, wie Lebensplanung, Verantwortlichkeit von Eltern, Schwangerschaft, Babypflege und -versorgung, Entwicklung eines Kindes und vieles mehr. Den Abschluss bildet ein Termin bei Pro Familia, auch um Hemmschwellen zur Beratung abzubauen, und eine Besichtigung der Babyklappe. Die Schwierigkeit bei diesem ersten Elternpraktikum lag in der Organisation der Babysimulatoren, von denen zu der Zeit nur zwei im gesamten Kreis Lippe zur Verfügung standen. Weil die Schule das Projekt gerne ausweiten und zu einer regelmäßigen, Einrichtung machen wollte, wurde die Meyer-Sickendiek Stiftung um eine Spende gebeten. Inzwischen verfügt die Erich Kästner-Schule über vier eigene Babysimulatoren, sowie Modelle eines alkoholgeschädigten und eines drogengeschädigten Kindes und ein Shaken-Baby-Syndrom-Simulator. Außerdem gibt es Kindersitze, eine Kinderwagen und Babykleidung. Der Shaken-Baby- Syndrom-Simulator ist ein lebensgroßer Säuglingssimulator, dessen Beschleunigungssensor die Kraft misst, die beim Schütteln auf das Gehirn ausgeübt wird. Aufleuchtende LED-Lichter zeigen sehr eindrucksvoll, wie das Schütteln eines Säuglings schwerste Gehirnverletzungen hervorrufen kann oder sogar zum Tod führt.
Die Teilnehmer des Elternpraktikums können ihrem Baby einen Namen geben, führen ein Tagebuch und füllen vor und nach dem Praktikum einen Fragebogen aus. Inzwischen haben 24 Jugendliche an dem Praktikum teil genommen, zwei davon Jungen. Es hat sich gezeigt, dass einige Schülerinnen schon damit überfordert sind. In 6 Fällen wurde die Simulation wegen zu hoher Belastung vorzeitig abgebrochen. Das Alter für das erste Kind hat sich für viele deutlich nach hinten verschoben, auf etwa 26 Jahre und der Mehrzahl ist deutlich geworden, dass sie sonst Unterstützung brauchen würden, auch in finanzieller Hinsicht. Das nächste Elternpraktikum ist für Frühjahr 2014 geplant.